17. Januar 2015

Je suis Charlie

Je suis Charlie
Bildquelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_auf_Charlie_Hebdo
Als mich die Nachricht des Anschlags auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo erreichte, saß ich gerade im Bus auf der Fahrt von München nach Berlin. Irgendwo zwischen Hermsdorf und Leipzig hatte ich genug Internetempfang, um meinen Facebook Newsfeed laden zu können. Die Nachricht war bereits einige Male geteilt worden und erschien an erster Stelle auf meiner Startseite. Ein Anschlag auf eine Redaktion, 12 Tote. Ich laß den Artikel und war erschrocken. Hauptsächlich darüber, dass der Anschlag in einem unserer Nachbarländer stattgefunden hatte und darüber, dass er gezielt gegen eine Redaktion ging. Über Nacht rückte das Thema von mir weg. Bei Frühstück überflog ich die tagesaktuellen Schlagzeilen. Hintergrund Infos zum Anschlag, Fahndungsbilder, Details über die vermutlichen Attentäter. Und trotzdem war das Thema für mich zu diesem Zeitpunkt nur eins von vielen; ein Thema wie jedes andere, über das man in der Zeitung liest. 

Das änderte sich schlagartig, als ich auf die Arbeit fuhr. Neben der Tür zur Redaktion in der ich arbeite, standen zwei bewaffnete Polizisten mit schusssicheren Westen. Ein paar Meter weiter parkte ein Streifenwagen, in dem noch mehr Beamte saßen. Die Tür ließ sich nicht wie sonst einfach aufdrücken, sondern war verschlossen und öffnete sich erst, nachdem ich mich mit meiner Chipkarte als Mitarbeiter ausgewiesen hatte. Am Empfang saßen zwei Security-Männer, die mich kritisch musterten. Erst in diesem Moment begriff ich so richtig, was am Tag davor geschehen war: es war ein Attentat auf eine Redaktion verübt worden, mit dem Ziel, Journalisten zu töten. Journalisten, die die "falsche" Meinung hatten und die "falschen" Karikaturen veröffentlichten. Und plötzlich fühlte ich mich nicht mehr sicher an meinem eigenen Arbeitsplatz. Die regelmäßig patrouillierenden Polizisten und die verschärften Sicherheitsmaßnahmen trugen nicht dazu bei, dieses Gefühl verschwinden zu lassen. 

Jeden Tage sterben Journalisten in Kriegs- und Krisengebieten, werden gezielt getötet oder verschwinden spurlos. Doch kaum jemand erfährt davon. Es ist auch normalerweise kein Thema, für das sich die Leserschaft großartig interessiert. Diesmal ist das anders. Charlie Hebdo dominiert die Nachrichten und die sozialen Medien sind voller Solidaritäts- und Beileidsbekundungen. Was macht den Anschlag in Paris zu solch einem großen Thema? Zum einen natürlich die geografische Nähe. Was in Frankreich passiert, interessiert Deutschland, denn wirklich weit haben es die Terroristen von da zu uns nicht. Zum anderen, und dieser Punkt ist viel entscheidender, ist der Anschlag ein so großes Thema, weil es einen konkreten Feind gibt. Islamistische Terroristen haben Journalisten erschossen. Ein gefundenes Fressen für die aktuelle Anti-Islamierungsbewegung und allen voran für Pegida. "Wir haben euch gewarnt und hatten von Anfang an Recht." Pegida instrumentalisiert das Attentat für seine Zwecke. Und begeht damit den größtmöglichen Fehler. Das Ziel von Terroristen ist selten die Tötung einzelner Menschen. Im Vordergrund eines Anschlags steht vielmehr, ein Feindbild zu erschaffen, deutlich zu machen, wer der Gute und wer der Böse ist, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Terrorismus hat das Ziel, Krieg zu erzeugen. Islamfeindliche Anschuldigungen und Verallgemeinerungen à la "Der Islam ist Schuld" spielen diesem Ziel in die Hände. Die Debatte über die Islamisierung Europas hat nichts mit dem Anschlag in Paris zu tun. Nicht der Islam trägt die Schuld an den 12 Toten, sondern allein die Terroristen, die diese getötet haben. Dafür die Millionen Muslime, die friedlich in Europa leben, zu verurteilen ist schlichtweg falsch. Muslimische Einrichtungen anzugreifen, um Vergeltung zu üben ist ebenso falsch. Solidarität kann man anders zeigen.  

Ich konnte das mulmige Gefühl, dass ich seit ich die Redaktion heute betreten hatte, hatte, den ganzen Tag nicht abschütteln. Gedanken wie "Sind wir vielleicht die nächsten?" und "Haben wir vielleicht auch etwas 'Falsches' geschrieben?" kamen immer wieder. Trotzdem werde ich morgen wie gewohnt in die Redaktion fahren. Ich werde den Polizisten einen Guten Morgen wünschen, die Tür mit meiner Chipkarte öffnen, mich an meinen Schreibtisch setzen und schreiben. Um zu informieren. Um aufzuklären. Um Solidarität zu zeigen. Und um den Terror nicht gewinnen zu lassen. 

(Text vom 08.01.2015)

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